Der Leuchtturmwächter
(Dem Phänomen Erleuchtung auf der Spur)
GEDANKE IST VORSTELLUNG
VORSTELLUNG IST GEDANKE
Heimweh nach einem Ort an dem ich nie gewesen bin.
Eine Chronik der Vergänglichkeit.
© Edi Mann
1. Sonderauflage 2013
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.
Edi Mann
edimann@grenzlandadvaita.com
Wenn von diesem Ich aus nach vorne geschaut wird, dann entfaltet sich die Welt mit all ihren Erscheinungen vor ihm. Wenn sich der Blick um 180 dreht, wird der wirkliche Urheber des Erscheinenden erkannt. Doch da ist nichts, was es zu erkennen gäbe. Und da steht es nun zwischen dem Nichts und der erscheinenden Wirklichkeit. Auf der Grenze zwischen Sein und Nicht-Sein.
Inhaltsverzeichnis
I Feuer.......................................................... 9
Prolog......................................................... 9
1 Sonnenzeit.............................................. 11
2 Erscheinung (Auftritt Mayas) ................... 25
3 Tal des Todes (Im Agavenfeld).................. 35
4 Gefühlsduseleien .................................... 44
5 Beschränkungen (Einheitsgedanken).......... 55
6 Verschmelzung (Hägar) ........................... 62
7 Im Zentrum (Der Sensai I) ........................ 70
8 Das Herrenhaus ...................................... 82
9 Auslöschung (Der Sensai II) ...................... 97
Epilog ..................................................... 106
II Erde ........................................................ 108
Prolog ..................................................... 108
10 Der Neurotiker .................................... 110
11 Wahrnehmungen (Wieder auf dem Weg)..128
12 Wiedergeburt (Weibliches Land) ............ 136
13 Giganten (Männliches Land I) ................ 145
14 Bewusstsein (Der Werwolf I) .................. 154
15 Gipfelerfahrung (Männliches Land II) ..... 168
Epilog ...................................................... 181
III Wasser ................................................... 183
Prolog ...................................................... 183
16 Reflexionen (Der Werwolf II) .................. 185
17 Der Regenbogen (privates Wunderland) .. 195
18 Ankunft (Ozean) .................................. 204
19 Erinnerungen (Der Fischer) .................... 213
20 Die Überfahrt ....................................... 226
Epilog ...................................................... 233
IV Luft ....................................................... 235
Prolog ...................................................... 235
21 Der Leuchtturm .................................... 237
22 Das Buch .............................................. 248
23 Verwandlung (Alchemie) ........................ 257
24 Tod (Der Leuchtturmwächter) ................. 268
25 Erkenntnisse (Die Marmortafel) .............. 283
Epilog ....................................................... 293
Jede positive Aktion mit der Absicht erleuchtet zu
„werden“, setzt die Existenz eines individuellen
Wesens voraus, wohingegen „Erleuchtung“ an sich
der Zustand ist, in dem kein separates Individuum existieren kann.
- Ramesh Balsekar
I Feuer
Die Sonne lehrt alle Lebewesen die Sehnsucht nach dem Licht.
Doch es ist die Nacht, die uns alle zu den Sternen erhebt.
- Khalil Gibran
Prolog
Und wir: Zuschauer, immer, überall, dem allen zugewandt und
nie hinaus! ...
Wer hat uns also umgedreht, daß wir, was wir auch tun, in jener
Haltung sind von einem, welcher fortgeht?
- Rilke
Zeit scheint nicht mehr als eine psychische Erscheinung zu sein, die von mir, vom Beobachter, abhängt. Hier wurde sie vergessen, das heißt sie hörte auf zu existieren. Deshalb vermag ich nicht einmal abzuschätzen wie viel von dieser Zeit seit meinem Aufbruch aus dem Grenzland, das einstmals so etwas wie eine Heimat für mich darstellte, vergangen ist. Die Erinnerungen daran verblassen wie die Fußspuren, die ich als einziges Zeugnis meiner Anwesenheit auf dieser so unbeständigen und wechselhaften Erde zurücklasse. Wo ist die vergangene Zeit? Sie scheint nie existiert zu haben und doch ist sie gerade jetzt da. In diesem vielgepriesenen Jetzt, das sich bei näherer Betrachtung jedoch nur als ein Zeugnis fragwürdiger vergangener Ereignisse herausstellt. Genauso wie der nächste und übernächste Moment auch. Selbst ganz aus dieser Vergangenheit hervorkommend gebe ich ihr den Namen Erinnerung.
Ich errichtete ihr einen Altar, einem großen massiven Schrank gleich, den ich an zentraler Stelle in mir aufstellte. Der Schrank der vergangenen Zeit, angefüllt mit Erinnerungen und anderen einstmaligen Wichtigkeiten. Schublade über Schublade, es müssen Tausende gewesen sein, vollgestopft und überquellend mit gemachten Erfahrungen, scheinbar Erlebtem, gebildeten Meinungen und richtungsweisenden Vorurteilen. Ganz oben, ohne Leiter kaum zu erreichen, befanden sich eine ganze Reihe teils aufwendig und reich verzierte Glaubenskisten. Manche davon noch im Originalzustand, die wächserne Versiegelung vor den Schlössern intakt und ungebrochen. Obwohl sie hier in meinem Schrank standen scheinen sie noch nie geöffnet worden. Andere wiederum standen weit offen, ihr Inhalt breitete sich wie ein bunter Lamettaregen über das Darunterliegende aus. Alles in allem ein ziemlich chaotisches Inventarsystem der ganz eigenen Art, meiner eigenen Art.
Doch jetzt ist der Inhalt verbrannt, und der den Altar bildende Schrank gleich mit. Schwelende Reste eines ganzen Lebens. Der Gott des Jetzt, dieser „Ich bin“, scheint keine anderen Götter neben sich zu dulden. In seiner Vernichtungsarbeit ist er radikal und unerbittlich.
Sogar mein Schatten, bis vor kurzem noch munter vor mir hergehend und mir den Weg weisend, hat mich verlassen. Was vielleicht auch daran liegt, daß die Sonne sich direkt im Zenit, sprich über mir befindet. Mein breitkrempiger Hut, frisch geflochten aus trockenen Palmwedeln, bewahrt das Hirn davor im Innern des Kopfes gekocht zu werden. Einige grundlegende handwerkliche Fähigkeiten machen die Existenz in dieser doch recht extremen Umgebung etwas erträglicher. Obwohl sich natürlich schon die Frage stellt was ich in der glühenden Mittagshitze auf diesem Pfad durch eine lebensfeindliche Wüste zu suchen habe.
1 Sonnenzeit
Du bist wie eine Fata Morgana in der Wüste, die der durstige
Mensch für Wasser hält; aber wenn er es erreicht, findet er
nichts. Und da, wo er glaubte Wasser zu finden, findet er Gott.
Gleichermaßen, wenn du dich selbst untersuchtest, würdest du
feststellen, daß du selbst nichts bist, und stattdessen würdest du
Gott finden. Das heißt, du würdest Gott finden an Stelle von dir
selbst, und es würde nichts von dir übrig bleiben als ein Name
ohne Form.
- Al-Alawi
Wie der leere Himmel hat Es keine Grenzen, und doch ist Es
genau hier, immer tiefgründig und klar.
- Yung-chia Hsuan-cheh
Einer Endlosschleife gleich, einem gordischen Knoten, hat sich dieser nicht mehr vorhandene Schatten in den unergründlichen Gedankengängen des Gehirns festgesetzt. Was hat es mit diesem verloren gegangenen Schatten auf sich? Wo ist er hin? War es der Schatten der Vergangenheit, die vorgestellte Person, die ich einmal war und die sich nun verflüchtigt hat? Obwohl, verflüchtigt scheint der falsche Ausdruck, eher integriert von einer Art Ganzheit, die, schleichend und fast unbemerkt von dieser Person, das Ruder übernommen hat. Aber vielleicht hat er sich auch nur tief in mein Inneres zurückgezogen, in diese nicht greifbare Leere und Kälte, welche unerreichbar und unberührt von der so gnadenlos auf mich einwirkenden Hitze bleibt.
Unbeantwortete Fragen, deren einziger Sinn nur darin zu liegen scheint, neue Fragen nach sich zu ziehen. Müßiges Geplapper eines überforderten Verstandes.
Meine Vergangenheit gleicht einem zerbrochenen Spiegel, dessen Scherben unter dieser glühenden Sonne sporadische und zusammenhanglose Bilder auf mich zurückwerfen. Fragmente eines alles vernichtenden Feldzuges gegen mich selbst. Ein Kampf, der weder Sieger noch Verlierer auf dem Schlachtfeld zurückließ. Nur verbrannte Erde, auf der ich nun unterwegs bin.
Bei diesem Kampf gegen mich selbst wurde ich zum Mörder. Da war dieses Grenzland, mit dem ich, der Grenzwächter, eine untrennbare Einheit bildete. Dieses Grenzland gibt es nicht mehr. Es löste sich auf, als die letzte Person dort vernichtet war. Einstmals scheint es dicht bevölkert gewesen zu sein. Doch all den dort auftauchenden Personen wurde der Prozess gemacht. Und alle wurden sie für schuldig befunden. Schuldig im Sinne von nicht wirklich zu sein. Ich habe sie alle getötet, diese Personen die keine wirklichen Menschen waren, diese Zombies die mir ihre Wichtigkeit und damit einhergehend ihren Wirklichkeitsanspruch beweisen wollten.
Aber vielleicht bin ich auch der Zombie. Allem entledigt was so ein Organismus zum Menschen macht, was den Mensch zur Person macht. Denn was bleibt übrig wenn erkannt wurde daß all die getöteten Personen Teil des eigenen Daseins waren? Wenn die Suche nach Wahrheit das alte Weltbild in den Untergang riss und auf dessen Ruinen kein neues entstand? Kein Phönix aus der Asche, nur ein Nichts, dessen letzter Weg hier der Vernichtung entgegen zu gehen scheint. Aufgesaugt und absorbiert von dieser mit unverminderter Kraft auf mich herab scheinenden Sonne.
Sonnenzeit. Die Sonne, die allem Geschehen einen zeitlichen Rahmen verpasst. Untrennbar mit dem Fortschreiten der Zeit verbunden. Eins mit der Zeit, aber nicht in sie verwickelt. Das stillstehende Zentrum, alles zeitliche Geschehen aus sich hervorbringend. Tag und Nacht, Morgen und Abend, Sommer und Winter. Der über das Firmament ziehende Sonnenwagen, gelenkt von Helios, diesem All-erschauenden, dem angeblich nichts verborgen bleibt. Doch hier und jetzt scheint er seine Fahrt unterbrochen zu haben, denn die Zeit steht still. Ist das der Tod, das Ende des Weges, das Ende der Zeit? Mit zusammengekniffenen Augen lege ich den Kopf in den Nacken und schaue zu ihm hoch. Er scheint mir zuzublinzeln, mich einzuladen ihn auf seiner Fahrt zu begleiten. Ein plötzliches Schwindelgefühl erfasst mich und legt mir eine tiefe Schwärze vor die Augen. Die Sinne beginnen sich einer nach dem anderen zu verabschieden, was angesichts der extremen Umstände wenig verwunderlich ist.